Katharina Manojlovic

Klaus Wanker: Gewendete Welten

Publications | Jul 2022

Klaus Wanker: Inseln der Seligen (GIER). Bitumen, Kunststoff, Gräser, UV-aktive Farbe, Dimensionen variabel, 2019. Foto: Klaus Wanker

Klaus Wanker: Gewendete Welten. In: ders.: Kontaminierte Erinnerung / Contaminated Memories / Memoria contaminata. Graz 2022, S. 168–170 (English: Worlds turned upside down)

Flauschige Gräser einerseits, teerige Felder andererseits. Hasenschwanzgras und Bitumen. Ein Fell und sein Anderes. Sternartige Körper auf Reisen, Scheibenwelten, von denen man abstürzen kann. Oberwelt und Unterwelt. Modellwelten, die zu schweben scheinen, ihrem Titel nach auf einen paradiesischen, aus Zeit und Raum gefallenen Ort verweisen, dabei gewohnte Größenverhältnisse auf den Kopf stellen, sich als umgekehrte Welten deuten lassen. Welche Jahreszeit mag auf ihnen herrschen? Welches Klima? Ob, was auf ihnen gewachsen ist, nochmals wird austreiben können? Pflanzensamen verschifft nach anderswo. Hüllen, die ihre BewohnerInnen vor feindlichen, leblosen Atmosphären abschirmen sollen. Zu waghalsigen Expeditionen aufgebrochene, futuristische Wendewelten, die an Science Fiction-Topoi erinnern: Wir als Verworfene auf dem Weg zu anderen Orten und Zeiten angesichts einer erschöpften, ausgelaugten, zornigen Erde. Oder sind diese teerigen Plattformen Sinnbild zurückgelassener, nicht mehr bewohnbarer, unwirtlicher Städte? Himmel, die keine mehr sind?

Inseln der Seligen, die sie sind, spielen sie auf paradiesische Zustände an. Auf ein Elysium, wie wir es aus der griechischen Mythologie kennen: Da und doch aus der Welt, unerreichbar, für uns Sterbliche jedenfalls. So lassen sich mit ihnen auch Erzählungen assoziieren, in denen ein paar Auserwählte davonkommen können, auf Kosten des düsteren Schicksals der anderen, der dem Untergang geweihten, für die kein Platz mehr war auf der rettenden, gut klimatisierten Arche, wo es weder Hunger noch Durst gibt, und, für den Moment wenigstens, weder Krankheit noch Tod. Wo man sich vergessen kann. Vielleicht sollen wir auch das sehen: ein selbstvergessenes Schweben, ein fehlendes Bewusstsein dafür, wer wir sind und wo wir sind, wer und wo die anderen sind, woher unsere Möglichkeiten stammen und bis wohin sie reichen.

Was ist wirklich, was möglich, was denkbar?

In den großen klassischen Utopien sind Inseln paradigmatische Orte. Sie verweisen auf Visionen idealer Lebenswelten, auf alternative Räume, deren tatsächliche Realisierung offen bleiben muss. In seiner 1516 veröffentlichten Polit-Satire ­Utopia entwarf der britische Politiker und Gelehrte Thomas Morus das Bild eines solchen idealen Inselstaates, der namensgebend für ein Genre wurde: Als Wortspiel von griechisch οὐ (ou, „nicht“) und τόπος (topos, „Ort“) abgeleitet und an eu-topos (εὖ, „gut“) anklingend, ist „Utopia“ zu gut, um wahr zu sein. Entsprechend entlegen ist dieses Utopia  –  den elysischen Feldern vergleichbar, liegt es außerhalb unserer Welt, unerreichbar in Raum und Zeit, bleibt leuchtende Vision im Anderswo, Fata Morgana.

Utopia zu imaginieren, beschert ein ambivalentes Vergnügen. Nicht nur weil Utopien unerreichbar bleiben, in fernen Zeiten oder Fantasiereichen angesiedelt sind oder sich als nicht verwirklichbar erweisen, sondern gerade auch angesichts des Scheiterns der totalitären Regime des 20. Jahrhunderts, erscheinen sie uns zwiespältig. Es gibt also genug gute Gründe, ihnen gegenüber misstrauisch zu bleiben, auch gibt es sie nicht rein zu kaufen: „Utopien und Apokalypsen, leuchtend helle und düstere Visionen der Zukunft, sind Geschwister; sie sind eng miteinander verwandt.“[1]

Die Idee, dass das Gute nicht allein existieren kann, ist in den alten Mythen angelegt und uns vertraut aus der biblischen Offenbarung, wo der tosende Untergang der bisherigen Welt die Voraussetzung für die Erschaffung einer neuen, besseren ist.

Wem gehört das Paradies? Welche Pflanzen sollen dort wachsen? Wer ist schon dort? Hat auf seinen Tatzen, Flossen, Klauen Land besetzt, lange vor uns?

Die Zukunft liegt nicht am Ende eines Tunnels, durch den wir uns geradewegs nach vorne bewegen. Eher wächst sie aus uns wie Korallen, und es bleibt ungewiss, welcher ihrer Äste ausbleichen wird, welcher abbricht mit uns oder weiterwächst, wo wir uns mit ihm verzweigen und nach dem Licht recken können. Vielleicht tut uns gut  –  angesichts der Vorstellung einer schleichenden Apokalypse, die uns langsam einzuholen scheint  –, das Zukünftige als vielgestaltig zu denken: als viele mögliche Erzählungen, die wir mitspinnen können  –  allen anders lautenden Ansagen zum Trotz. Haken schlagende Zukünfte, die wir selbst sind, ohne Eile.

Die Aufgabe der Gegenwart, so meint die feministische Theoretikerin Donna Haraway, bestehe darin, sich frei zu machen von jedem Apokalypse- und Erlösungsdenken und sich stattdessen „den bescheideneren Möglichkeiten einer teilweisen Erholung und dem gemeinsamen Weitermachen“ zuzuwenden:

„Das kann man unruhig bleiben nennen. Also suche ich nach wahren Geschichten, die gleichzeitig spekulative Fabulationen und spekulative Realismen sind. Es sind Geschichten, in denen Multispezies-SpielerInnen durch partielle und beschädigte Übersetzungen quer zu Differenzen verstrickt sind, SpielerInnen, die noch einmal versuchen, gemeinsam zu leben und zu sterben; und zwar auf eine Art und Weise, die auf immer noch mögliches, endliches Gedeihen und auf Rückgewinnung eingestimmt ist.“

Die Inseln der Seligen erscheinen bodenlos, rätselhaft. Sie verweisen auf etwas, das in sein Gegenteil umschlagen kann, wandelbar ist. Auf unsichere Grenzziehungen auch: auf die Differenz von Natur und Kultur ebenso wie auf die Verquickung von Organischem und Artefakt: die Natur als Menschengemachtes, das Künstliche als Natur. Welche Gier ist hier tatsächlich gemeint? Die nach unerschöpflichen Ressourcen? Nach einer besseren Welt? Oder doch danach, unsere gegenwärtige umzuwenden?

Katharina Manojlovic

[1] Thomas Macho: Utopien & Apokalypsen. Warum uns Weltuntergänge mehr faszinieren als Utopien. In: Katharina Manojlovic / Kerstin Putz: Utopien und Apokalypsen. Die Erfindung der Zukunft in der Literatur. Wien: Zsolnay 2020

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